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Nach Eingriffen im Bauchraum ist oftmals die Darmfunktion beeinträchtigt. Dabei spielen komplexe Regulationsmechanismen eine Rolle. Eine einfache Therapie kann helfen.

Chirurg und Patient waren mit dem Verlauf der Operation zufrieden. Der minimalinvasive Eingriff zur Beseitigung eines Leistenbruchs hatte nur 40 Minuten gedauert. Nachdem die Narkose abgeklungen war, konnte sich der Patient wieder normal bewegen, und eine Tablette machte die operationsbedingten Schmerzen vergessen. Nur ein leichtes Völlegefühl war unangenehm. In der Nacht nahm der Druck im Bauch jedoch zu, und am nächsten Morgen zeigte eine ballonartige Auftreibung, dass sich übermässig Darmgase angesammelt hatten. Erst drei Tage nach der Operation entwichen die Winde peu à peu und normalisierte sich die Darmfunktion.

 

Häufiges Problem

«Auch nach einer minimalinvasiven Bauchoperation klagt etwa die Hälfte der Patienten über einen vorübergehenden Blähbauch», sagt Michael Scheruhn, Direktor der Abteilung für Viszeralchirurgie eines mittelgrossen norddeutschen Spitals. Wie es dazu komme und was die Betroffenen von Patienten ohne Störung der Darmtätigkeit unterscheide, wisse man allerdings nicht.

 

Sicher ist, dass jeder chirurgische Eingriff im Bauchraum – und mag er wie im Fall einer minimalinvasiven Operation noch so schonend sein – für den Organismus ein Trauma darstellt, auf das dieser mit der Ausschüttung von Stresshormonen und veränderten Nervenimpulsen reagiert. Die Folgen sind im günstigsten Fall eine temporäre Verdauungsstörung mit Blähbauch und Verstopfung. Gefürchtet ist jedoch das Krankheitsbild des postoperativen Ileus (Darmlähmung), eine gravierende Funktionsstörung des gesamten Verdauungstrakts: Die Darmwandmuskulatur, die sich normalerweise periodisch in Spiralen zusammenzieht, um Speisebrei und Darmgase in Richtung Enddarm zu transportieren, ist regelrecht gelähmt.

 

Die Folgen davon liegen auf der Hand. Aufgenommene Nahrung wird nicht verdaut, Stuhl akkumuliert, und Winde gehen nicht ab. In extremen Fällen erbricht der Patient, der Wasser- und Mineralienhaushalt gerät durcheinander, und es kann sich – ohne rechtzeitige Behandlung – ein Kreislaufschock mit Multiorganversagen entwickeln. Insbesondere bei grossen Bauchoperationen verzögert ein postoperativer Ileus die Heilung und verursacht zusätzliche Behandlungskosten.

 

Kein Wunder also, dass Chirurgen weltweit nach Möglichkeiten suchen, um der unerwünschten Operationsfolge vorzubeugen. Aus der Grundlagenforschung weiss man, dass die postoperative Darmlähmung ein komplexes Krankheitsgeschehen ist. Die ursprüngliche Annahme, dass es sich um eine rein neurale Fehlsteuerung handelt (im Sinne einer Überaktivität des sogenannten sympathischen Nervenstrangs), wurde ad acta gelegt. Offensichtlich entgleisen gleich mehrere Steuersysteme.

 

Passiver Schlauch

Sobald der Chirurg die Haut durchschneidet, ein Bauchorgan manipuliert wird oder während eines minimalinvasiven Eingriffs durch das in den Bauchraum eingeblasene Kohlendioxid Druck auf den Darm ausgeübt wird, unterbricht der Sympathikus-Nervenstrang die Kommunikation zwischen dem Gehirn, den im Darm vorhandenen (autonomen) Nervengeflechten und der Darmwandmuskulatur. Die Konsequenz: Aus einem aktiven, sich ständig in Form und Funktion verändernden Hohlorgan wird innert weniger Stunden ein passives Stück Schlauch.

 

Parallel dazu reagiert der Körper auf die operationsbedingten Schmerzreize mit der Ausschüttung von körpereigenen Opiaten (Endorphine). Damit soll die Schmerzwahrnehmung im Gehirn unterdrückt werden. Allerdings blockieren Opiate auch bestimmte Rezeptoren der Darmmuskelzellen und lähmen dadurch ebenfalls die Darmaktivität. Die neurale Fehlsteuerung und die Endorphin-Ausschüttung normalisieren sich üblicherweise nach zwei bis drei Tagen.

 

Ausgeprägte Entzündung

Allerdings gerät auch das Darmwand-assoziierte Immunsystem aus dem Gleichgewicht. Wie die Arbeitsgruppe von Jörg Kalff von der Abteilung für Chirurgie der Universitätsklinik in Bonn herausgefunden hat, entwickelt sich bereits vier Stunden nach einer Bauchoperation eine ausgeprägte Entzündungsreaktion der Darmwand .¹ Weisse Blutkörperchen wandern in die Darmschleimhaut und aktivieren dort im «Stand-by-Modus» befindliche Makrophagen, Dendritenzellen und Mastzellen. Diese hochspezialisierten Immunzellen produzieren daraufhin eine breite Palette von entzündungsfördernden Botenstoffen wie Interferon-gamma, Tumornekrosefaktor-alpha, Interleukin-1 und Interleukin-6.

Gleichzeitig werden auch sogenannte Stickoxid-Radikale freigesetzt, äusserst aggressive chemische Verbindungen, welche die Entzündungsreaktion ebenfalls anheizen. Auf die massive Ausschüttung von Entzündungsmediatoren reagiert der Darm mit einer – zunächst lokal begrenzten – Lähmung seiner Aktivitäten. Möglicherweise erklären genetische Unterschiede in der Freisetzung der Entzündungsstoffe, warum einige Patienten nur einen Blähbauch ausbilden, andere dagegen tagelang an einer Darmlähmung leiden.

 

Wie Kalff und seine Mitarbeiter in einer Serie von Experimenten zeigen konnten, breitet sich die Entzündungsreaktion innert Stunden über den gesamten Verdauungstrakt aus. Eine besondere Gruppe von T-Lymphozyten verlässt nach der Aktivierung durch Botenstoffe den ursprünglichen Entzündungsort – typischerweise die Stelle der Darmwand, an der operiert beziehungsweise Druck ausgeübt wurde. Die Immunzellen wandern über Lymphgefässe und die Blutbahn zu noch funktionierenden Darmabschnitten, dringen dort in die Darmwand ein und setzen hier ebenfalls eine Entzündungskaskade in Gang. So entwickelt sich eine generalisierte Entzündung des Darms, mit der Konsequenz, dass aus der ursprünglich begrenzten Passagestörung ein Ileus entsteht.

 

Kaugummi-Therapie

Alle bisher entwickelten medikamentösen Ansätze zur Verhinderung einer solchen Darmbeweglichkeitsstörung haben enttäuscht. So zeigten etwa Versuche, die hemmende Wirkung der Endorphine schon während der Operation durch die Gabe von Opiat-Gegenspielern aufzuheben oder die Schmerzweiterleitung zum Gehirn durch eine besondere Form der «Rückenmarknarkose» zu unterbinden , keine nennenswerten Erfolge.² Das ist wenig verwunderlich, wurde doch immer nur versucht, eine Komponente des entgleisten Steuersystems wieder auf Kurs zu bringen. Besser schneidet dagegen das von vielen Chirurgen empfohlene Kaugummikauen ab. Dies wird dem Patienten vielerorts nach Abklingen der Narkose richtiggehend verordnet – so viel und so lange er kann.

 

Wie eine Auswertung der zu diesem Thema durchgeführten Studien kürzlich gezeigt hat, verhindert das Kaugummikauen die Darmpassagestörung zwar nicht komplett. Doch es senkt deren Intensität und Dauer deutlich.³ So war die Zeitspanne bis zum ersten Abgang von Winden und messbaren Darmkontraktionen im Mittel zwölf Stunden kürzer als bei Patienten ohne Kaugummi-Therapie. Auch kamen die Patienten schneller auf die Beine und konnten durchschnittlich einen Tag früher aus dem Spital entlassen werden.

 

Laut der Britin Vanessa Short, der federführenden Autorin der Metaanalyse, gibt es für den Erfolg des Kaugummikauens eine einfache Erklärung: «Wenn die Kaumuskeln bewegt und der Speichelfluss angeregt wird, denkt der Körper, dass dem Magen-Darm-Trakt in Kürze Nahrung zugeführt werde», schreibt die Forscherin aus Bristol. Dadurch fingen die Verdauungsorgane an zu arbeiten, und das komplexe Regelsystem finde in seine Balance zurück. Es ist also eine Vorspiegelung falscher Tatsachen, die das gestörte Steuersystem wieder in den richtigen Takt bringt.

 

¹ Langenbecks Archive of Surgery 397, 591–601 , 2014; ² Clinical and Experimental Pharmacology and Physiology 41, 358–370 , 2014; ³ The Cochrane Library, Heft 2, 1–217 , 2015.

 

http://www.nzz.ch/wissenschaft/medizin/wenn-bauchoperationen-auf-das-verdauungsorgan-schlagen-1.18522024

Artikel zum downloaden

Vom Blähbauch bis zum Darmverschluss

Wenn Bauchoperationen auf das Verdauungsorgan schlagen

NZZ, 15.4.2015

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